Der Journalist Bali Berichtet Aus Kobane

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Der Journalist Bali berichtet aus Kobane (Telefoninterview vom 15. Januar 2015)

Mutlu Civiroglu https://twitter.com/mutludc

Die ISIS soll heute versucht haben, Autobombenanschläge und Selbstmordattentate auszuführen. Können Sie diese Berichte bestätigen?

Heute Mittag hat die ISIS drei solcher Attentate verübt. Einmal haben sie versucht eine Autobombe am Ende der 48. Straße explodieren zu lassen, die YPG konnte diesen Anschlag vereiteln, bevor das Fahrzeug die kurdischen Kämpfer erreichen konnte. Nach diesem Vorfall fand im Osten der Stadt ein heftiger Kampf zwischen der YPG und der ISIS statt, zwei Selbstmordattentäter der ISIS haben sich dabei in die Luft gejagt. Es sollen dort auch dutzende ISIS-Kämpfer getötet worden sein, diese Angaben konnten bisher nicht bestätigt werden. Der Kampf dort dauert noch an. Aus Tall Abyad und Sirrin kann die ISIS immer noch Kämpfer und Waffen nach Kobane transportieren. Von diesen Gebieten aus haben sie 30 bis 35 Fahrzeuge, beladen mit Kämpfern und Waffen, nach Kobane transportiert, um erneut anzugreifen. Leider führt die Koalition bisher keine Angriffe auf diese Nachschubwege aus. Auch die Ortschaften um Kobane herum werden nicht zum Ziel  der Luftangriffe, lediglich in Kobane werden diese durchgeführt. Dieses Verhalten hat einen negativen Einfluss auf den Kampf in Kobane. Denn die ISIS muss von allen Seiten angegriffen werden, damit die Stadt schneller befreit werden kann.

Gestern hat uns der YPG-Sprecher Şoreş Hesen aus Kobane mitgeteilt, dass in dem Dorf Şêran, das 7-8 km von Kobane entfernt liegt, 10 ISIS-Kämpfer getötet wurden, durch einen Luftschlag. Das war doch ein Luftschlag außerhalb von Kobane.

Das stimmt, dies dürfte der erste Luftschlag außerhalb von Kobane gewesen sein – das Dorf befindet sich 5-6 km östlich von Kobane –, aber das reicht nicht aus. Die ISIS muss bestimmter und häufiger angegriffen werden. Wir haben in Erfahrung gebracht, dass die ISIS über den Fluss Euphrat mit Schiffen und anderen Wasserfahrzeugen Waffenarsenal aus Tabqa über Sarrin nach Kobane liefert. Solche Meldungen erreichen uns täglich. Leider wurden solche Einheiten nie zum Angriffsziel der Luftschläge.

Die Koalition hat die meisten Luftschläge in Kobane durchgeführt, wie erklären Sie sich diese Tatenlosigkeit hinsichtlich der Nachschubwege.

Ich erkenne zwei Gründe: Zum einen sieht die Koalition keine große Gefahr in der ISIS für ihre eigenen Länder und geht nicht rigoros gegen diese vor, das Ziel der Koalition scheint nicht die vollständige Vernichtung der ISIS zu sein. Zum anderen glaube ich persönlich, dass die YPG in die Position gedrängt werden soll, sich mit anderen Gruppen, wie die der Freien Syrischen Armee, Allianzen einzugehen. Eines möchte ich klarstellen: Die einzige glaubwürdige Kraft im Nahen Osten, welche gegen diese Terroristen ankämpft, sind die Kurden, die YPG. Die Freie Syrische Armee teilt die Ideologie der ISIS, viele ihrer Kämpfer und Anführer haben in den Pariser Terroristen Märtyrer gesehen.

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Wer hat sie zu Märtyrern erklärt?

Sie haben dieses Attentat in Paris als normal empfunden und meinten, Muslime hätten das Recht ihren Propheten zu rächen. Diese Opposition kämpft zwar gegen die ISIS, aber unterscheidet sich in ihrer Überzeugung nicht von der ISIS-Ideologie.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung des Kampfes von Kobane ein?

So wie ich die YPG kennengelernt habe, wird sie den Kampf fortsetzen, bis auch das letzte Dorf befreit ist. Die YPG geht im Kampf gegen den Terror keinen Schritt zurück. Am 28. oder 29. September 2014 hat die YPG eine eindeutige Erklärung gegeben, nämlich, dass sie bis zum letzten Mann kämpfen wird, das ist ihr Prinzip. Sie wird mit allen Möglichkeiten und größtem Willen diesen Kampf fortsetzen

Ein ISIS-Kommandant aus dem Kafkas soll getötet worden sein. Von ihm soll es Videomaterial geben, in welchem er Kinder rekrutiert. Können Sie seinen Tod bestätigen?

Es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass er in Kobane getötet wurde, die ISIS selbst hat dies zugegeben. Seine Leiche ist noch nicht im Besitz der YPG, sondern liegt noch irgendwo unter Trümmern, sobald diese ausfindig gemacht wird, wird die YPG eine Meldung herausgeben.

Ich möchte Sie als letztes fragen, wie das Alltagsleben in Kobane aussieht. Ich habe gesehen, dass dort Schnee liegt, es muss auch sehr kalt sein. Wie können Sie den Alltag in Kobane beschreiben?

Während ich spreche, schneit es. Auch für diese Region ist es ein außergewöhnlich kalter Winter, die Stadt ist von allen vier Seiten eingekesselt. Dennoch geht dieser Widerstand unvermindert weiter. Die Zivilbevölkerung, Frauen und Kinder, wollen trotz aller Unannehmlichkeiten des Krieges diese Stadt nicht verlassen. Die Vereinten Nationen müssen einen Hilfskorridor errichten, die Luftschläge allein reichen nicht aus. Das Leben hier geht weiter, damit es weitergehen kann, müssen die internationale Gemeinschaft, alle Menschenrechts- und Hilfsorganisationen, alle Staaten, die sich als demokratisch bezeichnen, Druck auf die Türkei ausüben und diesen Korridor für die Zivilbevölkerung gewährleisten.

Vom Kurdischen ins Deutsche übersetzt von https://twitter.com/ViyanKurd