Premierminister des Kantons Kobane: “Für die Entschärfung der Minen werden dringend Spezialisten gebraucht”

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Mutlu Civiroglu: Nach der Befreiung der Stadt gaben Sie in einer Erklärung bekannt, dass

Hilfe für den Wiederaufbau gebraucht werden würde. Journalisten, die Kobane besuchen, kommen zum selben Schluss. Welche Art von Unterstützung braucht Kobane?

Anwar Moslem: Seit viereinhalb Monaten wird gekämpft, um die 40 Fahrzeuge wurden in Kobane in die Luft gesprengt, tausende Mörsergranaten schlugen ein. Die Fundamente der Stadt, kommunale Dienstleistungsstellen, Wasserleitungen und das Stromnetz wurden zerstört. Auf den Straßen liegen viele Leichen der ISIS-Kämpfer. Es ist notwendig, dass medizinische Organisationen uns vor Ort unterstützen, damit sich keine Krankheiten ausbreiten. Zudem wurden in der Stadt, in vielen Dörfern und Häusern Minen verlegt. Auch das ist eine große Gefahr für die zurückkehrende Bevölkerung. In den vergangen Tagen sind in den Dörfern Çuqur, Rovî und Yêdûq Minen explodiert, Zivilisten kamen ums Leben. Für die Entschärfung der Minen werden dringend Spezialisten gebraucht. Die Situation ist sehr schwierig, es mangelt an Trinkwasser, Nahrungsmitteln, denn schon vor diesen Übergriffen war Kobane von allen vier Seiten umzingelt, mit Beginn des Kampfes wurde diese Situation noch schwieriger. Weil wir schnellstmöglich eine Camp-Stadt errichten wollen, müssen wir eine medizinische Grundversorgung gewährleisten, damit die Bevölkerung wieder allmählich zurückkehren kann.

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Mutlu Civiroglu: Wieviele zivile Opfer kamen durch Minenexplosionen ums Leben?

Anwar Moslem: Bisher gab es sechs Tote und dutzende teils Schwerverletzte. Nicht nur die Dörfer, sondern auch einige Teile der Stadt sind vermint. In den Dörfern wird noch gekämpft, aber in der Stadt wurde dem Terror ein Ende gesetzt. Deswegen bemühen wir uns, mit allen Nationen und Organisationen Kontakt aufzunehmen und sie nach Kobane einzuladen, damit sie uns behilflich sein können.

Mutlu Civiroglu: Die Nachrichtenagentur ANHA teilte gestern mit, 400 Zivilisten seien zurückgekehrt. Sie teilen uns mit, dass Blindgänger und Minen eine große Gefahr darstellen. Wie bewerten Sie die Rückkehr der Zivilisten trotz der Gefahr?

Anwar Moslem: Wir teilen den Menschen immer wieder mit, dass die Situation sehr gefährlich ist. Zum einen gibt es keine medizinische Versorgung, zum anderen sind überall Minen verlegt. Unser Aufruf nach Kobane zurückzukehren, richtet sich an junge Menschen, die in der Verwaltung oder im medzinischen Bereich arbeiten wollen, oder sich unseren Verteidungseinheiten anschließen möchten. Es kommen aber auch einige Zivilisten zurück. Manchmal betreten sie unbefugt gefährliche Gebiete, sodass es ständig Explosionen gibt. Auch wir leiden darunter, aber wir geben dutzende Erklärungen und erstellen Flugblätter, um die Menschen zu warnen, damit sie Orte nicht unbefugt betreten und sich bei der Asayish oder der YPG melden, wenn ihnen Blindgänger und Minen auffallen.

Mutlu Civiroglu: Sie sagten, dass es Bemühungen gibt, ein Camp zu errichten. Die Organisation “Ärzte ohne Grenzen” wollte ebenfalls ein Camp in Kobane errichten.

Anwar Moslem: Wir haben Kontakt zu dieser Organisation, diese möchte ein Krankenhaus und einiges mehr errichten. Wir sagten, dass unseren Türen allen Organisationen, die Kobane unterstützen möchten, offen stehen. Wir von der Stadtverwaltung versuchen, ein Camp zu errichten, damit die Bevölkerung zurückkehren kann, obwohl tausende Häuser zerstört sind. Um sie unterzubringen, brauchen wir dieses Camp. Wenn “Ärzte ohne Grenzen” oder andere Organisationen uns bei diesem Vorhaben unterstützen möchten, können sie dies tun. Wir haben ein Komitee gegründet, die noch Untersuchungen anstellt und die Ergebnisse bald publik machen wird.

Mutlu Civiroglu: Vor zwei Tagen hat der französische Präsident Hollande die Kommandantin der YPJ Nesrin Abdullah und die Präsidentin der PYD Asye Abdullah im Élysée-Palast empfangen. Viele bringen diesen Besuch mit dem Sieg der Kurden in Kobane in Verbindung. Was sagen Sie dazu?

Anwar Moslem: Unser Kampf war ein Krieg gegen einen Terror, der auch die USA, Frankreich, Kanada und Australien bedrohte. Zur gleichen Zeit, vor vier Monaten, fiel auch Kobane diesem Terror zum Opfer. Wenn unseren jungen Männer und Frauen diesen Terror bekämpfen, dann tun sie dies nicht nur für Kobane, sondern für die ganze Welt. Alle demokratischen und friedliebenden Menschen, die sich für Kobane einsetzten, haben ebenfalls Anteil am Sieg. Die Einladung von Herrn Hollande hat uns mit Stolz erfüllt. Wir hoffen, dass weitere Politiker Kobane unterstützen, indem sie Kobane besuchen, Delegationen schicken. Wir hoffen auch, dass uns unsere Freunde und Verbündeten aus den USA beim Wiederaufbau unterstützen, so wie sie auch zu Beginn des Kampfes an unserer Seite standen.

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Mutlu Civiroglu ist Analyst der Kurdischen Frage mit Schwerpunkt Syrien und Türkei” Er verfolgt insbesondere den Kampf der YPG gegen die ISIS und andere dschihadistische Gruppen.

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Vom Kurdischen ins Deutsche übersetzt von N. Ozdemir